Glaube und Leben

Wochenspruch

Gedanken zum Wochenspruch

Denn wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi.

(2. Korinther 5,10a)

Wir alle müssen offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi – das ist der Wochenspruch in der
Woche vom Buß- und Bettag. Den begehen wir am 22. November. Buß- und Bettag, ist ein Feiertag
mit ganz besonderem Gepräge. Wir feiern ihn nicht an einem Sonn- oder Feiertag, der eigens dafür
freigehalten ist, er hat seinen Platz mitten in der Woche, am Ende eines Tages, der Alltag war.
Das hat seine Geschichte: In früheren Zeiten hat man Buß- und Bettage einfach angesetzt, wenn man in
Notzeiten Buße und Gebet nötig hatte. Erst Ende des 19. Jahrhunderts hat man einen festen Tag
dafür eingerichtet, und man kann natürlich darüber streiten, ob das sinnvoll war: Buße und Gebet
einfach zu einem bestimmten Zeitpunkt anzusetzen, egal, ob es dafür einen Anlass gibt oder nicht.
Aber vielleicht liegt gerade darin ein tieferer Sinn dieses ungewöhnlich platzierten Feiertags: Wir
feiern ihn mitten in der Woche, mitten im Alltag, und erinnern uns dabei daran: Umkehr und Gebet,
das ist immer wieder nötig, mitten im Leben, mitten im Alltag. Das ist kein weltentrücktes Thema,
sondern eins von mittendrin. Eins das uns daran erinnert: Dein Handeln und Dein Seinlassen ist Gott
nicht egal. Am Ende aller Zeiten müssen wir alles Getane und alles Gelassene verantworten. Der
„Richterstuhl Christi“ ist den meisten von uns in der Gesellschaft fremd geworden, wenn nicht egal.
Für meinen Alltag ist es mir wichtig zu wissen, dass mir Gott immer wieder die Chance gibt ein
Anderer, eine Andere zu werden. Ich muss mich nicht immer weiter verstricken in mein Versagen,
Gott gibt mir immer wieder die Möglichkeit mich von den Fesseln meiner Vergangenheit zu lösen.
Ein Sterbefall vor einigen Jahren hat mich sehr bewegt und berührt. Dieser Mann hat es nie zu einer
Berufsbiographie geschafft. Sein Leben, sein Haushalt, sein Geld wurde von einem Vormund
gemanagt. Alle seine 7 Geschwister sind an den Folgen einer Alkoholsucht gestorben. Er selbst war
auch ein Trinker. Das sollte ich nicht sagen, baten mich der Vormund und die Angehörige.
Normalerweise halte ich mich auch sehr gewissenhaft an solche Bitten. In dem Fall nicht. Ich wusste,
bei der Trauerfeier sitzen auch all seine Bekannten von der Trinkhalle, die genau wussten, wie es war
mit ihm. Er hat es allerdings geschafft, knapp 2 Jahre vor seinem Tod „trocken“ zu werden.
Ich dachte: Was für eine Lebensleistung!
Sich so aus den Fesseln seiner Gewohnheiten, seiner Abhängigkeiten, seiner Familiengeschichte zu
lösen!
Deswegen habe ich das in dieser Trauerfeier erzählen müssen. Dass es nie zu spät ist. Und Gott ganz
unerwartete Kräfte freisetzen kann, mit denen keiner mehr gerechnet hatte. Das war das Evangelium
für diese Trauergesellschaft. Die Angehörigen haben verstanden. Alles richtig gemacht, haben sie zu
mir danach gesagt. Und ich schickte daraufhin einen Gruß „nach oben“ und dankte Gott für die gute
Zusammenarbeit.
Es ist nie zu spät. Das sage ich Ihnen. Das sage ich mir selbst auch noch einmal.
Es grüßt Sie herzlich


Ihre Pfarrerin Marlene Hering